Spanien - ¡Buen Camino!

Eine Halbzeitbilanz

Wir haben also unsere Rucksäcke gepackt, Hirschtalg-Fusssalbe gekauft und Flüge nach Bilbao gebucht. Ich wollte schon lange einen Camino wandern, aber nicht nur einen kleinen Abschnitt, sondern wenn schon, dann bitte in einem Stück und mehrere hundert Kilometer. Kann ja nicht so schwer sein, machen andere ja auch… bisher hatten wir hierfür aber ein zeitliches Problem… gleich 4 oder 5 Wochen Urlaub nehmen und das „nur“ für eine Wanderung in Spanien… hm… schwierig.

Aber perfekt für unsere Wartezeit, bis wir den Blauen in Bremerhafen in Empfang nehmen können. Zur Erinnerung, der läßt sich gerade (farblich abgestimmt) chauffieren:

Zuerst hatten wir die Qual der Wahl, da es ja nicht nur den einen Camino gibt, sondern viele: durch Europa zieht sich ein ganzes Netzwerk von Jakobswegen, die sich teilweise mit den Fernwanderwegen decken. Bei 6 Monaten Zeit hätten wir eigentlich sogar in Skandinavien beginnen können. Aber das war mir dann doch Zuviel des Guten. Also ein Weg in Spanien oder Portugal. Die Corona-Pandemie ist immer noch nicht recht ausgestanden, was wir bei der Planung berücksichtigen wollen. Die beste Infrastruktur für Pilgerherbergen soll es am Camino Frances geben, aber da dies die Hauptroute im Inland durch Nordspanien ist, den die meisten Pilger wählen, ist hier auch mit dem höchsten Pilgeraufkommen zu rechnen, speziell in den Sommermonaten, in denen es auch sehr heiß sein soll. Hmmm… Hitze sind wir zwar jetzt durch die USA gewöhnt, aber dort gab es immer noch die Rückfallebene: “ Puuu, mir ist zu warm, ich geh mal in ein Geschäft/Restaurant/Museum, dort gibt’s ne Klimaanlage…” Klimaanlagen werden Spanien “Siesta” genannt, und werden von mir in meinem Pilgerdasein zumindest teilweise zum Laufen eingeplant, da ich eine durchschnittliche Länge der Wanderstrecke von über 20 km halten will ohne einen Sprintmarathon hinlegen zu müssen.

Also fällt der Camino Frances aufgrund der hohen Temperaturen am Nachmittag weg. Der Portugiesische Küstenweg kommt in die engere Wahl (Küste=Wind=nicht ganz so warm) scheidet aber aufgrund seiner Gesamtlänge von „nur“ 14 Tagen Laufzeit aus. Das kann ich mir für später aufheben.

Also Küstenweg Spanien… der soll aber wegen seiner beständigen Wegführung  bergauf- und wieder bergab einer der anstrengendsten sein… egal, den Satz überlese ich schnell, irgendwas ist ja immer. Die Aussicht auf Laufpausen am Strand und eine ständige erfrischende Brise um die Nase treffen unsere Entscheidung.

Wir starten also unseren Camino bequemlichkeitshalber in Bilbao. Die Stadt im Baskenland ist von Stuttgart aus in 2 Linienflügen über Zürich sehr geschickt zu erreichen. In 5 Reisestunden sind wir am Ziel oder besser, am Start.

Und was jetzt folgt hatten wir so schon in der Vorbereitung in den verschiedenen Blogs oder Reisebüchern zum Thema gelesen. Nur hätte ich nicht erwartet, dass ich das alles auch an eigenen Körper erfahren muss! 

Es folgt nun eine kleine Aufzählung der schönen Dinge auf dem Camino, auch die Fettnäpfchen sollen nicht zu kurz kommen (denn es gibt derer viele…)

Heavy Metal

Pilgeranfänger erkennt man woran?

Am zu vollen Rucksack!

Deshalb muss jeder Pilgerneuling ein spanisches Wort kennen: „Correos“! …spanisch für Post! Wir haben nach den ersten drei Tagen erstmal aussortiert und 5 Kilo Gepäck wieder nach Hause geschickt! Die Mitarbeiter*innen bei Correos sind es auch anscheinend schon gewohnt, dass Pilger mit leiser Stimme und hochrotem Kopf fragen, ob es hier Kartons zu kaufen gibt und ob man hier kurz seinen gesamten Rucksack einmal auf links drehen darf… by the way, die Warnungen, nur das Nötigste und max. 10 kg inklusive Wasser und Proviant zu schleppen,  könnten in der Literatur tatsächlich eindringlicher sein! Frauen brauchen für abends unbedingt ein Kleid? Quatsch!  Auch wir benötigen ausschließlich 2 Wanderwechselgarnituren, sehen wir halt abends aus wie die Männer: Wir schlürfen unseren Rotwein in den Klamotten, in denen am nächsten Tag gelaufen wird. Geht wunderbar!

These boots are (not) made for walking

Die Füße werden jedem Pilger die erste Woche Wanderleben sein Leben lang nicht mehr verzeihen. Jap! Das glaube ich jetzt aufs Wort (Auau!) Neben den Blasen ist das „Breitlatschen“ mein größtes Problem. Liegt wahrscheinlich an den Schuhen. Den Empfehlungen der Literatur folgend hatte ich auf Wanderstiefel gesetzt, aber nicht erwartet , zu 90%  damit über Asphalt wandern zu müssen. Dafür sind sie definitiv zu schwer und zu steif. Ich bin noch auf der Suche nach dem perfekten Caminoschuh, denn Sportschuhe haben zwar eine weichere Sohle, bieten dafür um den Knöchel nicht genug Halt.

Shortcut

Irgendwann schummelt jeder mal - sprich: läuft nicht die Gesamtstrecke, sondern nimmt ab und zu den Bus (Alsa) oder Zug (Feve). Jap! Die Busse sind auch zu verführerisch! Fahren überall zu einem Preis von sage und schreibe 1,50 €. Allerdings fordert die Interpretation des Aushangfahrplanes - falls vorhanden - den interessierten Pilger durchaus…

Trennkost

Pilger trinken immer und überall gerne mal ein Schlückchen Wein. Nur die Pilger??? Nö, machen in Spanien irgendwie alle… an den Mittagstischen sehe ich fast nie einen Softdrink. Warum auch, das dreigänige „Menù Del Dia“ schließt eine Flasche Wein mit ein… für sage und schreibe 12,—€!!
Wohingegen ich mich an das magere Frühstück (maximal ein Kaffee und ein süßes Teilchen, mit Betonung auf „-chen“) noch gewöhnen muss… kann man aber alles mit nem frischen OSaft aufwerten :-)

You’ll never walk alone

Es pilgern alle Nationen und alle Altersgruppen. Wie wunderschön wahr! Wir begegneten tatsächlich schon einem Kanadier, einer Dame aus USA New Mexico, einem Australier, zwei Lettinnen, einer Rumänin, einer Britin, einem Moldawier, jede Menge Spaniern (warum nur?), einem Schweizer, einem Belgieer (schreibt man das so?) ganz vielen Deutschen (aus Stuttgart! Juheee) und sogar einer Peruanerin. Und das waren nur die Leute, mit denen wir gesprochen haben . Wenn auch manchmal nur kurz über die essenziellen Dinge “Buen Camino. Wo kommt ihr denn her? Wo seid ihr gestartet?”  Die Altersspanne liegt (lassen wir mal die Babies außer Acht, die von ihren Pilgereltern als Zusatzgewicht mitgenommen werden) bei 17 bis Mitte 60. Leider überholen mich nicht ausschließlich die 20jährigen…

Hatte ich schon die vielen Franzosen erwähnt?

Oh, und nicht zu vergessen, die vielen lieben Vierbeiner (Flügel zähle ich jetzt mal zu den Beinen), die jeden Pilger freundlich begrüßen… oder besser, die fotografierenden Zweibeiner einfach gelassen ertragen :-)

Wie man sich bettet…

Pilgerunterkünfte werden im Prinzip „wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ vergeben. Äh, jein…während Corona leider nicht. Es haben zu viele Herbergen noch geschlossen und ich verfüge nicht über die Kondition, im Falle einer überfüllten Unterkunft einfach fünf Kilometer zur nächsten zu laufen. Aber wir sind ja seit USA in Übung: jeden Tag über Booking.com oder per Telefon ein Bett reservieren. Wer zuerst bucht, hat ein Nachtlager 😉

Abgestempelt

Unser Ziel ist Santiago de Compostela. Dort kann man nach der erfolgreichen Pilgerreise die Compostela erhalten, ein Nachweis der Pilgerschaft.

Hierzu muss jedoch ein Pilgerausweis vorgelegt werden, in dem die Stationen der Pilgerschaft durch Stempel und Datumsangabe dokumentiert und nachgewiesen werden. Die sportliche Vorgabe, pro Tag 2 Stempel zu erhalten, haben wir oftmals nicht erfüllen können. Das liegt aber nicht an Faulheit & Unwillen unsererseits - viele der angesteuerten Kirchen sind verschlossen (wieder mal Corona?), oder es ist momentan kein Stempelbevollmächtigter anwesend…..dabei wäre die Lösung so einfach: Ein kleiner Tisch im Vorraum, darauf ein Stempelkissen sowie der Kirchenstempel, gern auch angekettet.

Offline oder best friends?

In vielen Foren & einschlägigen Pilgerbüchern erhielten wir den (eindringlichen) Tipp, doch bitte während des Pilgerns mal auf das Smartphone zu verzichten.

Lustig.

Da z.B. die Herbergssuche pandemiegeschuldet nicht aus einfachem Vorbeikommen & Anklopfen besteht, sind wir hier durchaus auf die Erleichterungen der digitalen Welt in Form eines Smartphones angewiesen. Siehe unter ”wie man sich bettet”.

Auch die ganzen Bilder würden so nur in reduzierter Form & auf Umwegen ihren Weg in den Blog finden. Kann man machen, ist aber s…emi-optimal. Speziell bei mir äußert sich die Faszination des Erlebten am Bilder machen (“Hach, dieses Licht, diese Farben!!! “) und das Smartphone ist halt wirklich eine pilgerfreundlich leichte Alternative zur Kamera.

Unsere Lernkurve der spanischen Sprache verläuft trotz täglichem Vokabellernen beim Wandern eher flach, so dass eine digitale Übersetzungshilfe mehr als nur nice-to-have ist.

Von den momentan gültigen Vorgaben zu (Ein)Reise und diese digital vorzeigen zu können, wollen wir garnicht erst anfangen…

A propos “best friends”: Ich habe während des Pilgers die Vorzüge von Hirschtalgcreme, Betaisadona und Doc-Salbe echt zu schätzen gelernt. Bewirken Wunder gegen wirklich alles.

Enjoy nature at it‘s best.

Der Atlantik ist erschreckend kalt (warum eigentlich?), bewirkt aber genau die richtige Abkühlung, wenn die Vegetation an der Steilküste nur bis zum Knie reicht. 

What a view!

zu guter Letzt: Unsere Wahl des Camino de la Costa hat sich für uns als Volltreffer herausgestellt und die täglichen, fotogenen Ausblicke entschädigen wirklich jeden (Fuß)Schmerz…

Doch nun zurück zum Weg der Wege: Wir sind in Bilbao, im Baskenland, gestartet und mittlerweile nach der Durchquerung von Kantabrien in Asturien unterwegs. Noch knapp 100 km entlang der Küste, ehe es dann ins Landesinnere Richtung Santiago de Compostela abbiegt.

Fortsetzung folgt :-)

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