USA - von Hufeisen und Brautschleiern

Die in Fernost bestellten Teile für die Reparatur unseres Toyos sind nur partiell in Stockton angekommen, außerdem wurden zwischenzeitlich Mitarbeiter krank, der Blaue fährt also auch nach weiteren drei Wochen nicht. Georg hatte uns das ja bereits im Telefongespräche bei Mia in Washington D.C. mitgeteilt.

Was den Zustand unseres Campers angeht konnte ich mir ja in den letzten Wochen in Aufarbeitung mehrere negativer Gefühlsausbrüche eine “c´est-la-vie” - Einstellung antrainieren, also nehme ich die Nachricht dieses Mal mit einem Achselzucken auf. Was soll’s, verbringen wir halt noch etwas länger an der östlichen Seite der USA, die hat ja auch viel zu bieten. Mein Herz macht sogar heimlich einem kleinen Hüpfer: Juppie, vielleicht gehen wir eine Woche einfach nur faul an den Strand?? Nach der ohne Frage erlebnisreichen aber auch fast reizüberflutenden Städtetour steht mir der Sinn wieder nach mehr Natur und vielleicht auch etwas weniger Hektik. Urlaub vom Urlaub…

Angesichts der sommerlichen Hotelpreise am nahen Virginia- oder Ocean Beach überdenke ich meine erste Idee jedoch… Aber wir sind mittlerweile Profis im spontanen Aufstellen eines Plans B, also studieren wir gemeinsam die digitalen Landkarten der Ostküste der USA. Bloß, dass wir dieses Mal nicht so recht weiterkommen. Da erreicht mich eine unschuldige Frage einer Freundin via WhatsApp: “Fahrt ihr eigentlich auch zu den Niagara Fällen?” - Björn und ich wechseln einen Blick, er grinst und ich tippe die Antwort zurück: “Hatten wir vor, wir fahren morgen früh los!”

Auf dem Weg nach Norden an den Lake Erie durchqueren wir von Washington D.C. aus in knappen acht Stunden Autofahrt (ein Katzensprung!) die Bundesstaaten Maryland, Pennsylvania und schließlich New York. Die gemütliche, einspurige Interstate 200-irgendwas-North führt uns durch viele kleine Ortschaften in immer grünere, bewaldete Gegenden, die irgendwie an Süddeutschland oder Österreich erinnern. Passend dazu ertönt über das smartphone die deutsche Rock-Country Gruppe Boss-Hoss. Das ist Trucker-Leben-Nostalgie pur! Während der Fahrt halten wir nach Amish-People Ausschau. Wie uns gesagt wurde, sind sie an Pferdegespannen oder an Strohhüten und barfuß-laufenden Frauen und Mädchen zu erkennen. Leider können wir weder das eine noch das andere erspähen.

Für die nächsten Tage haben wir uns in das Radisson Hotel Niagara Falls auf der Grand Island im Niagara River ein gebucht. Die Insel ist ein Stadtteil von Buffalo, keine 15 km von den Niagarafällen entfernt. Wir werden von dort aus Tagesausflüge unternehmen. Beim direkten Vergleich über unsere geliebten Internet-Vergleichsportale sind die Hotelpreise auf der kanadischen Seite der Großen Seen immer günstiger, bleiben für uns pandemiebedingt aber unerreichbar. Die Grenzen sind noch immer geschlossen. Unsere Unterkunft besitzt eigentlich praktischerweise ein Restaurant, da die Flussinsel ansonsten über nicht viel touristische Infrastruktur verfügt. Nach der Pandemie-Schließung konnte jedoch für die Küche noch kein neues Personal gefunden werden, weshalb diese nicht nur kalt sondern ganz verriegelt bleibt. Da es den Amerikanern aber an unkonventionellen Lösungen nicht mangelt, haben wir einen Kühlschrank auf dem Zimmer und im Foyer ist eine Mikrowelle für die Gäste aufgestellt. Supermärkte sind auf der Insel in einigen Fahrminuten erreichbar.

Wir decken uns also zumindest für Frühstück und Tages-Picknicks ein, an den touristischen Highlights wird es zusätzlich schon etwas warmes zu essen geben.

Am nächsten Tag dann hält uns auch der hauseigene Pool mit Blick zum Fluss nicht mehr im Hotel, wir wollen die Niagarafälle erkunden.

Die Ufer des Niagara River in unmittelbarer Nähe zu den Fällen sind auf der kanadischen Seite mit Casinos und Hotels gespickt, dagegen wurde das amerikanische Ufer bereits 1885 zum Statepark erklärt und ist damit weniger verbaut. Den Klischees der beiden Staaten folgend hätte ich es anders herum erwartet…

Durch den State Park ziehen sich zahlreiche Spazier- und Wanderwege, auf denen alle sehenswerten Punkte abgelaufen werden können. Startpunkt ist meistens das Visitorcenter auf der Goat Island (Ziegeninsel). Hier hat man den besten Blick auf amerikanischer Seite auf den Wasserfall, über den das meiste Wasser des Niagara River fließt ( 90%, wenn es nicht zur Energieerzeugung abgeleitet wird). Dies ist der Horseshoe Fall (Hufeisen-Wasserfall), der anteilig dem Gebiet der USA und Kanadas zugerechnet wird. Seinen Namen erhielt er aufgrund seiner unverwechselbaren Form (siehe Screenshot Google.maps).

Immer dem erfrischenden Sprühnebel entlang gelangt man auf die andere Seite der Goat Island, wo die restlichen 10% des Niagara River in die Tiefe stürzen. Weitere kleine Inseln teilen hier den Fluss erneut, so dass der kleine Bridal Fall (Brautschleier-Wasserfall) vom größeren American Fall getrennt ist.

Wir haben uns die Fluten nur vom Land aus angesehen, wobei es natürlich einige Möglichkeiten gibt, die Wasserfälle hautnah von Booten aus zu erleben. Von oben ist immer auch gut erkennbar, welches Touristenboot nun zu welcher Nation gehört: Die Amerikaner bekommen allesamt ausschließlich blaue Regenponchos verpasst, die Touristen von der kanadischen Seite tragen alle einheitlich ahornblatt-farbenes Rot.

Übrigens haben wir nun auch Erstkontakt mit Amischen. Das Pferdegespann hat vier Gummireifen und einen Motor, jedes Mitglied der Gemeinschaft ein Smartphone. Mich lässt es unweigerlich lächeln, die moderne Technik in Händen dieses unbestreitbar traditionellen Kleidungs- und Frisurenstils zu sehen… einmalig!

 

In den verbleibenden Tagen unternehmen wir Wanderungen an der Schlucht des Niagara River entlang und auch zu seiner Mündung in den Lake Ontario. Das kanadische Toronto ist an der anderen Uferseite mit bloßem Auge nur schemenhaft zu erkennen, obwohl der Lake Ontario den flächenmäßig kleinsten der 5 Großen Seen darstellt.

Nach einigen Tagen hier oben ist das Gleichgewicht zwischen Stadt & Natur wieder hergestellt. Wir machen uns langsam auf den Rückweg nach DC, tauschen den Mietwagen gegen unseren Rückflug an die West Coast ein….



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